da "Neue Zürcher Zeitung"

Bergonzis Meisterschaft

Lieder- und Arienabend im Opernhaus Zürich

 

di: Marianne Zelger-Vogt

Mercoledì 26 ottobre 1994

 

Carlo Bergonzis Zürcher Liederabend vom 30. September 1991 war eine jener Sternstunden, die unwiederholbar scheinen. So mischie sich in die Vorfreude auf die Wiederbegegnung mit dem inzwischen 70jahrigen italienischen Tenor ein leises Bangen: Wurden sich das Ereignishafte, die unvergessliche Atmosphare jenes Abends noch-mals einstellen? - Ein gelegentliches Räuspern, minime tonliche Trübungen, einzelne leicht verengte Töne zeigten zu Beginn an, dass sich der Künstler, wohl infolge einer Erkältung, nicht jener optimalen Tagesform erfreute, die seinen Auftritt vor zwei Jahren begünstigt hatte. Doch das fast dreistündige Programm, das er am 24. Oktober darbot, wurde gleichwohl zum Triumph nicht nur seiner unübertroffenen Technik und seiner persönlichen Ausstrahlung, sondern auch seiner unvermindert reichen, nach mehr als 40jähriger Laufbahn noch immer völlig intakten stimmlichen Mittel.

Vom Publikum im übervollen Haus mit überströmender Herzlichkeit begrüsst, bedurfte er keiner effektsicheren populären Eröffnungsstücke. Vielmehr konnte man in Verdis «Ad una stella» und «L'Esule» miterleben, wie er von mittleren, ruhigen Tonwerten aus gleichsam scine Farbpalette zusammenstellte, die Stimme nach und nach in die Höhe und Tiefe expandieren liess. Schon in Bellinis «Fervido desiderio» und «Ma rendi pur contento» war dann jene unnachahmliche Geschmeidigkeit erreicht, die zu den Markenzeichen seines Singens gehört. Lassen sich Gefühle beredter in einen einzigen Akzent, eine Farbnuance fassen, als er es in diesen Miniaturen tat? Doch nicht weniger versteht er sich auf die grossen Kontrastwirkungen. In Denzas «Occhi di fata» konnen die «capelli biondi» der Signora nicht zärtlicher besungen, die Liebesbitten nicht emphatischer vorgebracht werden, und Tirindellis «O Primavera» erklang tatsächlich frisch und duftig wie der Frühling selbst.

Die hohe Kunst grossformaler dramatischer Durchgestaltung und weitgespannter Phrasierung blieb den zwei Arien aus Verdi-Opera vorbehalten, die am Schluss der beiden Konzertteile standen: «Di ladroni attorniato» aus «I Masnadieri» und «Sotto il sol di Siria ardente» aus «Aroldo» - Lehrstücke perfekt gestützter Tonführung und zentrierter Kraftentfaltung.

Obwohl Bergonzi im jetzigen Programm - bei einzelnen identischen Nummern - meditative Stücke bevorzugte, fehlten solche mit salonhaft sentimentalem oder humoristischem Einschlag nicht, doch seien es (im zweiten Konzertteil) Schubert/Melchiars «Mille cherubini in coro», Leoncavallos «Mattinata», Donizettis «Me voglio fa' 'na casa», Lehàrs «Tu che m'hai preso il cuor»

(besser bekannt als «Dein ist mein ganzes Herz»), Tostis «Tristezza» oder Innocenzis «Addio sogni di gloria»: stets eignet Bergonzis Vortrag die Noblesse eines Gestaltens, das um seine Mittel weiss und sie in vollkommener Beherrschung, zugleich aber mit elementarer Freude einsetzt. Vincenzo Scalera nahm als Begleiter die Intentionen des Sängers mit grosster Sensibilitat und Prompt-heit auf. - Am Schluss fast eine Stunde lang Jubel, standing ovations und ein Reigen von sieben Zugaben, genau wie vor drei Jahren. Auch diesmal: eine Sternstunde.

 


Data di creazione: 04/04/2005
Data di modifica: 04/04/2005